Im Zusammenhang mit Drogenlegalisierung

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt… GG Art. 2

Dass die „Würde“ des Autos unantastbar ist, steht nicht in unserem Grundgesetz, und doch müsste man davon ausgehen, wenn alle Grundwerte, die eine konsequente Anwendung finden, sich darin widerspiegeln würden. Ein Kind, welches ein Auto beschädigt, würde man bestrafen wollen oder zumindest streng zur Rechenschaft ziehen; ein Autofahrer dagegen, welcher in massiver Weise die Lebensgrundlage und damit die Zukunft es Kindes bedroht, wird in seinem Verhalten anerkannt, getragen und unterstützt von unseren manifestierten Werten und Normen. Die Würde des Menschen unantastbar? Die „Würde“ des Autos unantastbar?

Lassen wir uns zunächst auf einen weiteren Vergleich ein: Versuchen wir vorübergehend eine Identität anzunehmen, welche niemals eine Erfahrung machen konnte mit den technischen Fortschritten unserer Zivilisation und steigen so, befreit von jeglicher Selbstverständlichkeit, mit der wir sonst die alltägliche Technik nutzen, in unsere Autos. Stellen wir uns vor, was für ein Stimmungshoch sich einstellen müsste, wenn ein leichter Druck auf dem Gaspedal so plötzlich die Wirkung der wenigstens hundertfachen Kraft bedeutet, wenn Ausdehnung, Größe und Geschwindigkeit, über die wir natürlicherweise verfügen, sich mit einem Male vervielfachen. Das Exzessive unserer Erfahrung müsste dem Erlebnis entsprechen, welches jemand als einen wirklichen Kick verspürt, z. B. durch intravenös konsumiertes Heroin.

Mit diesen Vergleichen will ich den Versuch einleiten, eine Kritik zu formulieren, welche es ermöglichen soll, uns und unsere Lebensweise in Frage zu stellen. Dabei sind der Umgang mit Heroin und der Umgang mit dem Automobil als repräsentative Beispiele für diese Auseinandersetzung nicht zufällig und willkürlich gewählt. Exzessive Nutzungen technischer Möglichkeiten, wie sie am Umgang mit dem Auto deutlich werden, und exzessive Nutzungen von Stoffen wie Heroin verlaufen in Mustern, die bezeichnenderweise gerade in ihrer Gegensätzlichkeit bemerkenswerte Parallelen aufweisen. Eine Behauptung, die ich im folgenden begründen und konkretisieren will.

Das Automobil als Zeichen von wirtschaftlichem Erfolg eignet sich sehr gut als Maßstab dafür, wie weit technischer Fortschritt den Wohlstand eines Landes vorangetrieben hat. Fast ausnahmslos wird sich neu erworbener Reichtum niederschlagen im Erwerb von Automobilen und dem Bau einer entsprechenden Infrastruktur. Zugleich jedoch veranschaulicht sich an ihm vielleicht am deutlichsten das Verhängnis der Entfremdung und der Verdrängung, mit der wir uns gegenüber der Natur ausdehnen. Der maßlose Anspruch, autonom ein tonnenschweres Verkehrsmittel zu nutzen, führt – in seiner massenhaften Durchsetzung deutlich geworden – zu einer ebenso maßlosen Zerstörung von natürlichem Lebensraum. Gerade aber als Verwirklichung dieses Anspruchs hat sich das Auto zu dem Statussymbol schlechthin entwickelt. Keine andere technische Errungenschaft erlangt als Zeichen des Selbstbewusstseins eine ähnlich hohe Bedeutung.

In unseren Kulturkreisen gehört es aus diesen Gründen mittlerweile zu den Faktoren, welche in ihrer Allgegenwärtigkeit uns ihr Selbstverständnis regelrecht aufzwingen. Der Traum von autonomer Mobilität hat sich auf breiter Ebene verwirklicht, längst haben wir uns in eine Abhängigkeit treiben lassen, welche sich ergänzt – zum einen aus dem Bedürfnis, sich mit allgemein anerkannten Statussymbolen zu zeigen und zum anderen aus der mittlerweile bestehenden Infrastruktur. Trotzdem reden wir in diesem Zusammenhang kaum von Abhängigkeit, zumindest. nicht im negativen Sinne, und das sicherlich schon deswegen nicht, weil sie so allgemein manifestiert fast gar nicht mehr auffällt.

Sehr auffällig dagegen ist uns Abhängigkeit in einem scheinbar ganz anderen Zusammenhang geworden; bei den so genannten „Drogen“. Im Lexikon nachschlagend finden wir interessanterweise, dass mit „Droge“ ursprünglich nichts anderes gemeint war als „getrocknete Substanzen“ wie etwa Tee, Gewürze und Heilmittel. Heute dagegen hat sich als Synonym für „Droge“ Rauschmittel oder Rauschgift durchgesetzt. Gedacht wird dabei zumeist an Substanzen wie etwa Nikotin, Alkohol, Heroin, Marihuana usw., Substanzen also, die, verinnerlicht, Zustand und Bewusstsein des Konsumenten in uns auffälliger Weise manipulieren. Dabei allerdings erscheint mir wichtig zu differenzieren: Auf der einen Seite steht die spezielle Wirkung des Stoffes selbst, auf der anderen aber ebenso entscheidend der Umgang mit ihm, also z. B. Dosierung, Mischung und Reinheit des Stoffes und die Individualität des Konsumenten. Die erlebte Manipulation also ergibt sich immer aus einer Wechselwirkung. Daraus erklärt sich, wie ein und derselbe Stoff, durch Missbrauch zum zerstörenden Rauschgift geworden, unter der Kompetenz eines Kundigen zum Heilmittel werden kann. Wie aber wird eine Droge zum Rauschgift?

Die Verdrängung der Zerstörung

Wir wissen, dass der Drogenkonsum zu einer ernst zu nehmenden Gefahr wird, wenn der Stoff zum Verdrängungsmittel wird und zum Aufbau einer Illusion dient Über Konflikte, die der Betroffene immer weniger wahrnehmen und verarbeiten kann. Er fixiert sich immer mehr auf seine Drogen, gerät in zunehmende Abhängigkeit und zerstört seine Gesundheit und sein psychisches Gleichgewicht. Was anfänglich vielleicht nur Mittel zum Rausch war, wirkt nun zerstörend und damit gleichsam giftig. Reden wir demnach aber von einem so gearteten Risiko, so kommen wir bei einer konsequenten und unbefangenen Betrachtung zwangsläufig zu sehr viel mehr „Dingen“, auf die sich eine derartige Entwicklung übertragen lässt. Längst sind uns auch zahlreiche stoffungebundene Mittel, wie z. B. Warenkonsum, Geldspiel und Sekten, welche diese drei wesentlichen Merkmale: Verdrängung, Abhängigkeit und Zerstörung kennzeichnen, bekannt. Tatsächlich ist letztendlich wohl nichts, was menschlichem Umgang zugänglich ist, sicher vor Missbrauch.

Jede individuelle Konstitution bzw. jede gesellschaftliche Strömung neigt in ihren s speziellen Schwächen und Krisenzuständen zu ihren individuellen Mitteln, um sich Illusionen schaffen zu können. Dabei ist nur naheliegend, dass jede Strömung, indem sie eher die verheerende Wirkung von „Illusionsmitteln“ anderer wahrnimmt und hervorhebt, die eigenen leichter verdrängen kann. Die vor allem im Selbstverständnis der Industrienationen verankerte Fixierung auf nur ganz bestimmte Stoffe ist einseitig und deshalb unzutreffend. Sie führt zu dem, was wir bei „Drogensüchtigen“ als krankhaft bezeichnen würden: zur Verdrängung von entscheidenden Zusammenhängen und damit zum Verdrängen von Realität.

Um aber auf das Beispiel zurückzukommen, woran sich diese Auseinandersetzung repräsentativ vor allem halten soll: Auch am Umgang mit dem Automobil finden wir Verdrängung und Abhängigkeit in kaum übertroffenem Maße wieder. Nur die Zerstörung wirkt sich gegensätzlich aus: Ein Heroinsüchtiger zerstört in erster Linie sich selbst, ein Autofahrer dagegen zerstört in erster Linie seine Umwelt.

Der Besitz von Heroin bzw. die Abgabe von Alkohol an Jugendliche unter 16 Jahren ist laut Gesetz verboten. Das Gesetz versteht sich als Jugendschutz, man will die Bevölkerung schützen vor Selbstzerstörung und den Gefahren der Sucht nach „Betäubungsmitteln“ vorbeugen. In diesem Sinne versteht sich auch beispielsweise die auf breitem gesellschaftlichen Konsens beruhende Anti-Raucherkampagne welche sich niederschlägt in der Schaffung immer neuer „rauchfreier Zonen“, gesetzlichen Einschränkungen von Werbung für Tabakwaren sowie deren Ergänzung um eine Warnung vor Gesundheitsschäden. Beides eine staatliche bzw. gesellschaftliche Missbilligung von Schäden jedoch, welche zumindest primär der Konsument selbst zu tragen hat.

Demgegenüber wird das Bedürfnis nach autonomer Mobilität als Grundrecht gehandelt und durchgesetzt, ganz nach dem Motto: „Freie Fahrt für freie Bürger“. Während der Konsum bestimmter Drogen illegalisiert ist, ist es immer noch legal, täglich mit dem Auto die Luft zu vergiften, auch dann, wenn der Benutzer sein Gefährt als Verkehrsmittel immer weiter ad absurdum führt und ihm weit weniger giftige Alternativen zur Verfügung stehen würden. Ein Schutz vor der Bedrohung der Umweltzerstörung ist juristisch kaum verankert. Dabei lässt man sich anscheinend vielfach schon von dem Begriff „Umweltschutz“ irreleiten, denn schon lange geht es nicht mehr nur allein um Umweltschutz, sondern vielmehr um die Erhaltung von Lebensgrundlagen. Ihre arrogante Zerstörung kommt einem mörderischen Verbrechen gleich, nichts weiter als nur eine banale Erkenntnis eigentlich, welche sich aber dennoch nie so recht durchsetzen konnte in unseren „hochentwickelten“ Kulturkreisen. Offiziell und oberflächlich gilt das Auto als „Gebrauchsgegenstand“, als solches wird es gerechtfertigt. Welchen Gebrauchsgegenstand aber hätte man nicht längst in seiner Nutzung erheblich reduziert, wenn der Schaden auf lange Sicht gesehen den Nutzen bei weitem übertrifft? Das Automobil muss eben doch vielmehr herhalten als Symbol für Selbstbewusstsein, und damit kommen wir unseren so vielfach verdammten Drogen wieder einmal sehr nahe. Autos bedeuten Freiheit und Wohlstand! Für wen aber Freiheit, für wen Wohlstand und für wen Zerstörung und Einschränkung? Wer von uns, die blind diesen so hochgejubelten Werten nachjagen, kann verantworten, was er wirklich bewirkt?

Die wahrscheinlichste Todesursache für Kinder ist der Straßenverkehr. Daraus erklärt sich der so bezeichnende und makabre Vergleich, dass die Lebenszeit, welche Verkehrsopfer zu erwarten hätten, der Zeit entspricht, welche unsere automobile Zivilisation hinter dem Steuer verbringt. Dabei ist der Unfalltod sicherlich nicht einmal die größte Bedrohung für junge Generationen, denn Kinder, welche in ihren ersten Jahren erst dabei sind, ihr Immunsystem aufzubauen, werden vor allem in dieser so sensiblen Phase mit Umweltgiften attackiert: Sie atmen öfter, haben im Verhältnis sowohl eine größere Haut- als auch eine größere Lungenoberfläche und sind noch dazu durch ihre Größe einer höheren Schadstoffkonzentration ausgesetzt. So vorbelastet müssen sie einer Zukunft entgegensehen, in der unsere Gifte, die sich heute noch verflüchtigen, erst wirksam werden.

Dieselbe Generation, welche meint, ihre Nachkommen durch erhebliche Strafandrohung vor bestimmten „Betäubungsmitteln“ schützen zu müssen, leistet sich ihrerseits straflos Freiheiten, deren zerstörende Folgen für Kinder und Jugendliche weit schwerwiegender sind als irgendein Drogenmissbrauch. Beobachten wir uns beim Fahren eines Autos, so merken wir, wie selbstverständlich wir uns dabei vorkommen wollen. Dass wir uns bewegen in kollektivem Größenwahn, uns gleichsam arrogant entfernen von der Realität unserer Zerstörung, machen wir uns nicht bewusst. Warum auch? Unser gesellschaftliches System, unsere Illusion, in der wir uns entwickelt haben und die wir selbst fortwährend erneuern, fordert ein derartiges Verantwortungsbewusstsein nicht. Wenn die Situation eines Drogensüchtigen immer hoffnungsloser wird, dann dadurch, dass er Motivation und Fähigkeit verloren hat, sich mit den Konsequenzen seines Lebens zu konfrontieren. Darin aber findet unsere Zivilisation einen Spiegel, denn auch wir haben durch den exzessiven Missbrauch technischer Möglichkeiten den realistischen Bezug zu unserer Lebensgrundlage verloren. Der Raubüberfall eines Süchtigen, dessen Droge kriminalisiert ist, gilt als Verbrechen oder ganz „banaler“ Mord, begangen aus Habgier oder sonstigen verabscheuungswürdigen menschlichen Eigenschaften. Wer aber redet von Mord an der Zukunft, wer von den vernichteten Lebensgrundlagen nachkommender Generationen? Ist diese Art von Mord weniger real, nur weil er erst in Zukunft wirksam wird und sich heute keine Lobby findet, welche ihn uns ins Bewusstsein ruft? Wer kommt auf die Idee, unsere Zivilisation einmal von dieser Seite zu bewerten, ohne gleich wieder zu verdrängen, und wer spricht es aus, ohne konsequent überhört zu werden? Stattdessen ist vielmehr von wirtschaftlichem Wachstum die Rede, gleichbedeutend in den Industrienationen mit noch mehr Verschwendung, noch mehr Überfluss und noch mehr Fortschritt in Richtung Illusion und Größenwahn.

Dennoch hat dieses Ziel des vorsichtslosen Wachstums nahezu unumschränkte Priorität; naheliegenderweise, denn ohne das, was da mit „Wachstum“ umschrieben wird, würden die größten Teile unseres manifestierten Systems hoffnungslos zusammenbrechen: unser „Wohlstand“, unsere „Freiheit“, unsere „Demokratie“, unsere „Kultur“, unser „Selbstbewusstsein“.

Grundsätzlich lässt sich sagen: Illusionär ist der, welcher mit Hilfe von Teilen der Realität andere Teile ausblendet. Welche Anteile ausgewählt werden, um gleichsam zum Aufbau einer Illusion über andere Anteile missbraucht zu werden, ist vergleichsweise unbedeutend. Sehr bedeutend dagegen ist, wie weit sich diese Einseitigkeit verfestigt und wie konsequent sie entsprechend verwirklicht wird. Wir haben uns weit entwickelt in unserer Zivilisation des kollektiven Größenwahns. Es erscheint allzu selbstverständlich, sich gehenzulassen im alltäglichen Verbrechen der Naturzerstörung. Von Werbung allerseits behämmert, vorn so offensichtlich erscheinenden Überfluss berauscht, geht uns der Sinn für den Wahnsinn verloren. Unsere Fixierung auf ein so einseitiges Leistungsprinzip, welchem wir all diesen Überfluss zu verdanken haben, ist so weitreichend manifestiert, dass sie das Wissen um die mörderische Zerstörung von Lebensgrundlagen zu verdrängen vermag.

Unsere Zivilisation ist insgesamt und in jeder ihrer Lebensformen exzessiv geworden. Erhalten wird diese Maßlosigkeit durch einen extrem hohen Energieverbrauch. Unsere Lebensweise und das ihr zugrundeliegendes Wirtschaftssystem sind damit als solche ohne Zukunft – oder anders gesagt – von Zukunftszerstörung abhängig. Damit geht unsere Zivilisation wiederum konform mit dem Dilemma, welches wir so gerne einem „Süchtigen“ unterstellen und nach welchem er die Aufarbeitung immer existentieller werdender Konflikte vor sich her schiebt. Konform einerseits und andererseits entgegengesetzt, denn ein Drogensüchtiger hat die Konsequenz seiner Verdrängung primär selbst zu tragen, während die giftige Erblast vom Missbrauch technischer Möglichkeiten primär nachkommenden Generationen zufällt.

Der einerseits so offensichtliche und andererseits so wenig wahrgenommene Widerspruch, dass Lebensgrundlagenzerstörung weitgehend legitimiert ist und offensichtlich gewordene Verelendung kriminalisiert wird, wird um so alarmierender, je mehr gerade diejenigen, welche ein so zweifelhaftes „Wirtschaftswachstum“ forcieren, sich andererseits um so mehr für eine repressive Drogenpolitik einsetzen.

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit

Je älter wir werden, desto weniger gehört uns die Zukunft dieser Erde und desto mehr gehört sie nachkommenden Generationen. Ein Zivilisation, welche die Lebensgrundlage ihrer Nachkommen bereits nachhaltig zerstört hat, hat eigentlich schon von vornherein jede Glaubwürdigkeit und damit jeden Anspruch auf die Annahme ihrer Werte und Normen verspielt. Trotzdem oder gerade deswegen versuchen die Machtinhaber unserer „Demokratie“, Fluchtprävention zu betreiben, indem sie ihnen fremd gewordene Drogen, als „Betäubungsmittel“ stigmatisiert, kriminalisieren.

Mit zunehmendem Alter eines Menschen und mit der Entwicklung seines Bewusstseins wächst der Einfluss, welchen er auf seine Umwelt nimmt. Demgegenüber sinkt die eigene Betroffenheit aus den Konsequenzen dieses Einflusses. Ein Kind, noch ganz am Anfang seiner Entwicklung, ist seiner Umwelt nahezu in jeder Hinsicht ausgeliefert. Es nimmt keinen bewussten Einfluss auf sie, ist aber am meisten leidtragend, was diese betrifft. Zum einen ist die Fähigkeit, psychische und physische Schäden abzuwehren, noch kaum entwickelt, und zum anderen hat es noch ein relativ langes Leben vor sich. Ein Erwachsener dagegen, an der Spitze seiner Karriere, prägt sehr die Zukunft, ist aber davon durch sein relativ kurzes Leben, welches noch vor ihm liegt, und die Fähigkeit, sich gegenüber seiner Umwelt abzugrenzen, am wenigsten betroffen. War dieser Umstand – wachsender Einfluss, sinkende Betroffenheit – früher vergleichsweise unbedeutend, so hat er sich mit der industriellen Revolution um ein Vielfaches potenziert.

Die Verbrechen Erwachsener sind zukünftig, die Verbrechen Jugendlicher dagegen gegenwärtig und daher, wenngleich weniger schwerwiegend, so doch um so offensichtlicher. Das Gift, welches ein Erwachsener im Laufe seines Lebens verschleudert, löst sich buchstäblich zunächst in Luft auf. Es trifft nicht insbesondere den einzelnen, sondern braucht zum Teil Jahrzehnte, bis es Überhaupt wirksam wird. Es wirkt global und damit quasi anonym. Desgleichen der Lärm und die Versiegelung von Lebensräumen – dies alles ist für den einzelnen kaum schwerwiegend; erst deren Summe wird für unsere Kinder zur mörderischen Falle werden. Im Gegensatz zu dem zukünftigen, kaum thematisierten Verbrechen der Lebensgrundlagenzerstörung Erwachsener macht die gegenwärtige so genannte „Jugendkriminalität“ regelmäßig Schlagzeilen. Als kriminell gilt dabei auffälligerweise auch das, was wie er Konsum nichttraditioneller Drogen von vorherrschenden Sitten abweicht, als Verbrechen, aber eigentlich nur im Sinne von Zerbrechen manifestierter Werte und Normen gelten kann, nicht aber als Handlung, die zum erheblichen Schaden anderer wird.

Die eingebürgerten Vorurteile über Drogen wie Heroin und Cannabis und die Sturheit, mit welcher man an ihnen festhält, legen den Verdacht nahe, dass sich herrschende gesellschaftliche Systeme und deren Vertreter in bedenklicher Weise abhängig gemacht haben von ihrer einseitigen Sichtweise. Überhaupt ist sehr aufschlussreich zu bedenken, was für verschiedenste Abhängigkeiten unser Leben prägen und vor allem, welche wir davon als solche bewerten und welche wir dagegen vernachlässigen. Die Abhängigkeit beispielsweise unserer Zivilisation von ihren Feindbildern ist bestenfalls Thema von Spezialisten, und das, obwohl doch so offensichtlich und unbedingt erforderlich für den Erhalt ihrer Einseitigkeit.

Die Illusion der Unabhängigkeit ist abhängig von der Verelendung Abhängiger. Der scheinbar demokratisch-freiheitliche Charakter einer Gesellschaft lässt sich am anschaulichsten „nachweisen“ durch das Hervorheben von Abhängigkeiten anderer; je klarer diese gezeichnet werden, desto leichter kann man sich von ihnen polarisieren. Mit der verhängnisvollen Folge allerdings, dass eigene Abhängigkeiten und negative Verhaltensmuster immer weniger wahrgenommen und bearbeitet werden können. Es entwickelt sich ein Verdrängungsprozess, der durchaus vergleichbar ist mit dem Prozess, welchen wir einem „Süchtigen“ oft unterstellen. Je unabhängiger aber eine Droge innerhalb einer Kultur beurteilt wird, desto risikoärmer wird deren Freigabe sein. Einseitige Sichtweisen verhindern unbefangene Auseinandersetzungen, welche eine glaubwürdige und effektive Aufklärung über Chancen, Risiken und Gefahren von Drogen erst ermöglichen würden.

Es stellt sich die entscheidende Frage, was für Ansprüche und Motive hinter dem Verbot bestimmter Drogen stehen und vor allem, wie sie sich legitimieren. Der Begriff „Betäubungsmittel“ scheint eine einfache und naheliegende Antwort zu geben. Es erscheint zunächst sinnvoll, ein Mittel, dessen Wirkung betäubend sein kann und somit zum Risiko für den Konsumenten wird, zu verbieten. Allerdings nur solange, wie feststehen kann, dass nur diese Mittel betäubend sind und dass der Gesetzgeber und sein gesellschaftlicher Hintergrund zumindest weitgehend frei ist von Mitteln jeglicher Art, mit denen er sich betäubt. Beides Voraussetzungen, welche nicht gegeben sind. Abgesehen von legalisierten Drogen wie Nikotin und Alkohol ist uns z. B. der Begriff „Konsumrausch“ längst geläufig geworden. Wir alle kennen sehr gut das befreiende Gefühl, mit unserem Geld über die verschiedensten Produkte verfügen zu können, und wir wissen um die Exzesse, in welche unsere Bedürfnisbefriedigung teilweise ausartet. Trotzdem käme selbstverständlich niemand darauf, ein solches Verhalten zu kriminalisieren, auch wenn wir wissen, wie unsinnig und überflüssig Herstellung und Anschaffung so vieler Produkte ist und zu welcher maßlosen Zerstörung unsere Verschwendung bereits geführt hat. Übermäßiger Konsum entspricht dem Widersinn unserer Zivilisation, und ihr kurzfristiger Wohlstand ist von ihm abhängig.

Dessen ungeachtet fällt es dem oberflächlichen Beobachter leicht zu begründen, warum eine Droge wie Heroin zu verbieten ist. Vergiftungserscheinungen, Infektionen und das Leben im gesellschaftlichem Abseits lassen Heroinkonsumenten hierzulande verelenden. Dass erst die soziale Ausgrenzung und erst der durch Kriminalisierung in die Undurchsichtigkeit eines Schwarzmarktes abgedrängte Stoff den Konsum dieser Droge so risikoreich werden lässt, entgeht ihm. Tatsächlich verschafft er sich als Machtinhaber irrsinnigerweise eine Realität, welche ohne seine verzerrte Sichtweise gar nicht bestehen würde. Die gesetzliche Durchsetzung der Abstinenz bestimmter Stoffe mit dem Ziel der Unabhängigkeit ist auch insofern kontraproduktiv, als sie außer acht lässt, dass ein freiheitlicher Umgang oftmals erst und gerade in der bewussten Nutzung einer Droge liegt.

Es gibt keine erzwungene Freiheit

Und damit komme ich schließlich zu den Forderungen, auf welche diese Auseinandersetzung konsequenterweise hinausläuft: Das Verbot bestimmter Drogen gründet sich auf den ebenso zweifelhaften wie anmaßenden Anspruch, spezielle Arten der Illusion und des Rausches von vornherein als betäubend und giftig hervorzuheben, um andere damit gleichsam zu vernachlässigen. Folgt man jedoch demokratischen Grundsätzen, mit denen wir uns gemeinhin glaubwürdig machen wollen und nach welchen das Recht der freien Persönlichkeitsentwicklung garantiert ist, solange sie nicht die Rechte anderer verletzt, so muss als unzulässig gelten, den Konsum bestimmter Drogen zu kriminalisieren. Eine Gesellschaft, welche ihr Rechtswesen unter anderem auf diesem Grundsatz aufbaut, kann nicht eine solche einseitige Stigmatisierung durchsetzen, ohne sich als Gesetzgeber und Verfechter demokratisch-freiheitlicher Werte zu illegitimeren und unglaubwürdig zu machen. Den möglichen Gefahren, welche der Konsum von Drogen mit sich führen kann, ist nicht durch Verbote zu begegnen, sondern durch sachliche und ehrliche Auseinandersetzungen, welche als solche immer die Infragestellung und kritische Reflexion von manifestierten Werten und Normen beinhalten.

Hemmungslose Lebensgrundlagenzerstörung dagegen, welche sowohl das Recht der freien Persönlichkeitsentwicklung als auch das Recht der körperlichen Unversehrtheit verletzt, ist finanziell entsprechend zu belasten bzw. gesetzlich negativ zu sanktionieren.

Bernhard Goebel

3 Antworten zu Im Zusammenhang mit Drogenlegalisierung

  1. Pingback: Verbot von Drogen, Warum ? - Seite 2 - JuraForum.de

  2. Jörg sagt:

    Ja, klingt nicht schlecht. Viele ziemlich verschiedene Aspekte . Wann ist der geschrieben?

    • Michael sagt:

      das war noch im 21. Jahrhundert. Also genauer gesagt so um 1998. Ich habe ziemlich lange an meinem ersten Essay geschrieben.

      Ich lese gerade mit viel Zustimmung und großem Interesse das Buch „Drogen –
      Die Geschichte eines langen Krieges“ von Johann Hari.

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