Klage gegen den Braunkohletagebau Garzweiler

„Ich weiß, wie es um diese Lehre steht. / Es erben sich Gesetz‘ und Rechte / Wie eine ew’ge Krankheit fort; / Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, / Und rücken sacht von von Ort zu Ort. / Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; / Weh dir, dass du ein Enkel bist! /  Vom Rechte, das mit uns geboren ist, / Von dem ist, leider! nie die Frage.“ (Mephisto im Faust)

 Klage gegen den Braunkohletagebau Garzweiler (Entwurf!)

Um ohne nennenswerte Konsequenzen und aus Gründen von Stumpfsinn, Gier und Geiz beispiellose Verbrechen an Mensch und Natur zu begehen, gibt es das einfache und sehr zuverlässige Mittel der mittelbar-indirekten und also technisch-industriellen Räuberei und Zerstörung von Lebensgrundlagen der aller wehrlosesten Lebewesen und Menschen. Keine Richter und Staatsanwälte, keine Politiker, und zum Teil auch gerade keine Umweltschützer, Bürger-, Demokratieinitiativen und Menschenrechtsorganisationen, werden aktiv und ermitteln, protestieren bisher lautstark und mit Nachdruck, erstatten Anzeige oder erheben Klage. Am wenigsten jedenfalls im Sinne derjenigen, die in ihrer beschränkten Wahrnehmung nicht vorgesehen sind und wenn ihre weit überverhältnismäßige Betroffenheit noch so offenkundig und einfach einzusehen ist.1 Um ihnen gerecht zu werden, sind Tradition, Sitte, zivilgesellschaftliche Bildung und dergleichen meist untauglich und oft eher ein Hindernis, es braucht viel mehr radikale, unbefangene und grundsätzliche Überlegungen. In dieser seiner wichtigsten Disziplin hat nun der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Manier eines Kleinbürgervereins jämmerlich versagt. Braunkohleverstromung gehört zu den effektivsten Mitteln, weltweit und über viele Generationen eine definitiv hohe Zahl von Menschen durch Orkane, Unwetter, Überschwemmungen, Hitze, Feuerstürme und Trockenheit verelenden, verdursten und verhungern zu lassen, ihrer Lebensgrundlage und Heimat zu berauben und sie zu töten und zu morden.

Mit höchstrichterlichem Segen können nun die Brandstifter von RWE Power AG, Eon und Co. ihre beispiellosen Verbrechen weiterbetreiben, sie dürfen getrost davon ausgehen, auch von dieser Seite nicht gestört zu werden. Sie müssen ihre Zerstörung von Lebensgrundlagen nur global und weit genug in die Zukunft verschieben. Dass ist zwar nach einfachster Überlegung und Einsicht für diese schuldlose und wehrlose Mehrheit von Menschen am aller katastrophalsten und mörderischsten, hat aber den Vorzug, dass es bisher ohne nennenswerte Proteste, Klagen und Gegenstimmen zu machen ist.2

Nein, wir sollten allerdings tatsächlich nicht unterschätzen, wie sehr solche Urteile im Namen des Volkes durch den gesellschaftlich-institutionellen Hintergrund bestimmt sind: „Die rechtsförmliche Diskussion über die Würde des Menschen und die Auslegung durch den Richter sind ihrerseits, weit mehr als man denkt, von den ethischen Auffassungen der Bürger einer Kulturgemeinschaft abhängig. Diese moralische Urteilskraft ist in dem Wissen von gesellschaftlichen Institutionen gespeichert, die das Grundgesetz besonders schützt: die Familien, die Schulen, die freie Presse, den Rundfunk und die Universitäten, die Religionsgemeinschaften, oder die politischen Parteien.“3

Das sind gleich mehrere Hinweise darauf, wie sehr Rechtsprechung durch althergebrachte Bildung und Kultur geprägt ist und es nach einer solch konservativen Auffassung auch sein soll. „Rechtsschutz Enteignungs- und Umsiedlungsbetroffener gestärkt“ ist die Pressemitteilung des Gerichts überschrieben. Gerade diese wichtigste Frage aber, wer nun die wirklich und am härtesten Betroffenen und Leidtragenden eigentlich sind, ist offenbar schon in der Beschwerde allzusehr vernachlässigt worden. „Von Umsiedlung bedrohten Anwohnern“ ist die Rede und dann völlig bizarr und verdreht: „Effektiver Rechtsschutz verlangt auch rechtzeitigen Rechtsschutz. Der Bürger hat Anspruch darauf, dass ihm vor der Schaffung vollendeter Tatsachen ein Rechtsschutz gegen belastende Hoheitsakte eröffnet ist.“ Wieso Bürger? Weil nur er sprechen, wählen, demonstrieren und klagen kann, die nötige Bildung und Mündigkeit sich erwerben konnte, sicherlich aber gar nicht von den heftigsten Folgen der Braunkohleverstromung betroffen ist und sein wird, ja oft im Gegenteil von dieser Art von Wertschöpfung noch sehr profitiert? Der Bürger aber, in Person eines Polizeikommissars und des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, hat auch in diesem Fall offenbar versäumt schwerpunktmäßig Bezug zu nehmen auf die Grundrechte (und nicht etwa nur auf das Wohl!) einer wehrlose Mehrheit von existentiell Betroffenen und Leidtragenden, in deren Interesse er nach Art. 14 GG sein Eigentum notwendig gegen den allgemeingefährlichen und grundrechtswidrigen Missbrauch von RWE, Eon und der Nordrheinwestfälischen Landesregierung verteidigen muss. Das GG benennt im Übrigen keinen Bürger, es heißt „die Würde des Menschen“, „alle Menschen“, „Jeder hat das Recht …“ „Die Freiheit der Person …“, und „Niemand darf …“. Ab Artikel 8 ist leider auch einige Male von „Deutschen“ die Rede, nicht aber in Artikel 14 (Eigentum, Erbrecht und Enteignung) und 15 (Sozialisierung).

Effektiver, rechtzeitiger Rechtsschutz“, für eine definitiv hohe Zahl von Menschen vor den verursachten Überschwemmungen und Orkanen, vor Trockenheit, Hitze und Feuerstürmen, fordert etwas grundsätzlich anderes als ein solchen Euphemismus von „belastenden Hoheitsakten“. Wie verhöhnt und in ihren Grundrechten missachtet sind etwa verarmte Kinder in fernen Ländern, oder ein Mensch in 50 Jahren, der zum Zeitpunkt dieses Urteils ein kleines Kind war und dann von eröffnetem effektivem und rechtzeitigem Rechtsschutz vor vollendeten Tatsachen ihrer zerstörten Lebensgrundlage steht?4

Anlässlich der Beschwerde, kommt das Gericht nach seiner grundgesetzlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit von fachgerichtlichen und fachbehördlichen Entscheidungen zu dem Ergebnis, die Rechte von Umsiedlungs- und Enteignungsbetroffene stärken zu müssen, auch wenn diese immerhin gar nicht um Leib und Leben fürchten müssen. Es missachtet gleichzeitig in unerträglicher Ignoranz die völlig wehrlose Mehrheit von Menschen, deren Grundrechte auf Würde Freiheit und Leben fundamental betroffen sind und verletzt werden. Sie verdienen den wirksamsten Schutz und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil sie abwesend sind und nicht selbst vor Gericht erscheinen können!

Eine Rechtsprechung mit der Lüge, „dass mit Abbau von Braunkohle (von den Behörden) ein gesetzlich hinreichend bestimmtes und ausreichend tragfähiges Gemeinwohlziel verbunden wird“, ist von tödlicher Fahrlässigkeit: Der Legislative, bestehend aus Regierungen von Bund und Ländern und ihren Wählern, waren die Grundrechte einer räumlich und zeitlich (weit) entfernten und wehrlosen Mehrheit von Menschen schon immer völlig gleichgültig, vor allem, wenn es um ihre Profilierung durch Wahrung von Besitzständen ihrer Klientel ging und um die Interessen einer Industrie samt ihrer für die Politik unwiderstehlichen Lobbyarbeit.

Durch kleinbürgerliche Traditionen solcher Normativen, bieten selbst die Grundrechte keinen Anlass mehr, gegen schlimmste Menschenrechtsverletzungen vorzugehen: Das Gericht, was wesentlich und in großartiger Geste durch „umfassende Gesamtabwägung“ über Gebrauch von Eigentum im Dienst des „Gemeinwohlziels“ und nach Maßgabe der Grundrechte zu entscheiden hatte, hätte sich selbstverständlich und seinem Beschluss genau entgegengesetzt, denen zuerst und am aufmerksamsten zuwenden müssen, deren Wohl, Freiheit, Leben und Würde am meisten verletzt wird und bedroht und gefährdet ist.

Ich klage gegen den Braunkohletagebau im Namen einer wachsenden, wehrlosen und schuldlosen Mehrheit von Menschen, die zudem selbst keinerlei Nutzen aus Ausbeutung und Verstromung von Braunkohle hat und noch viel weniger haben wird. Sie nimmt im Gegenteil durch diese Industrie nur Schaden an Leib und Leben und wird auch in den übrigen Grundrechten der Würde, Freiheit und Persönlichkeitsentfaltung verletzt. Es ließe sich gewiss leicht eine Mindestzahl von Menschen errechnen, die durch den verursachten Anstieg der CO₂ Konzentration in der Atmosphäre verelenden, erkranken oder getötet werden5. Je vorsichtiger und niedriger man die diese Zahl ansetzt, desto sichererer wird man ebenso zu einer Mindestzahl von Leidtragenden und Todesopfern gelangen, welche durch die 1,2 Milliarden Tonnen CO₂ des Weiterbetriebs und Ausbaus von Garzweiler zu beklagen sein würden. Bereits diese hohe Mindestzahl von Opfern für sich gesehen, begründet nach Maßgabe der Grundrechte und im Sinne von Gefahr im Verzug die Notwendigkeit, den Braunkohletagebau von Garzweiler sofort zu verbieten.

Zu einem solchen Gebot der Unterlassung ergänzen sich noch weit schwerwiegendere Gründe: Es zählt zu den schlimmsten Verletzungen der Menschenwürde, wenn wir eine hohe Mindestzahl von besonders und völlig Wehrlosen und Schuldlosen, existentiell Betroffenen und Leidtragenden ansetzen müssen, die Frage gerade auch durch Braunkohleverstromung aber immer unbeantwortbarer wird, wie viele und welche Menschen noch über sie hinaus wie, wo und wann erkranken und verelenden, ertrinken, hungern und verhungern und Durst leiden und verdursten: Lassen wir in Deutschland Ausbau und Weiterbetrieb des Braunkohletagebaus zu, verhindert das als industriepolitisches Exempel wie kaum etwas anderes die Abkehr von einem maßlosen Verbrechen an einer weltweiten und mehr noch zukünftigen Mehrheit von Menschen. Sie ohne Not einem solch unberechenbaren Risiko von Leid und Tod preiszugeben, gegen das sie entsprechend und in ebensolchem Maße völlig wehrlos sind, ist gleichbedeutend mit einer ungeheuerlichen Verachtung ihrer menschlichen Würde. Armseligkeit und Kleingeist setzen sich durch im Versuch, dies mit Versorgungssicherheit der heutigen, regionalen Bevölkerung rechtfertigen zu wollen. Der Vorzug der Energiewende hin zu erneuerbaren Ressourcen und entgegen dem Weiterbetrieb von Garzweiler, sichert schon heute und hierzulande viel effektiver Wohlstand, Versorgung und Arbeitsplätze.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit seinem Beschluss in der Sache Garzweiler gegen seine absolut zentrale Verpflichtung verstoßen, im Namen des Deutschen Volkes die Würde derjenigen am wirksamsten zu achten und zu schützen, deren Anspruch auf Gerechtigkeit in der Welt so unüberschaubar weitreichend und schwerwiegend veräußert und verletzt werden.6

2s. u. a. Leserbrief – Vor uns die Sintflut, Arne Perras SZ 23./24. Nov. 2013

3Udo Di Fabio, ehemaliger Verfassungsrichter

5 „Bedingt durch den Klimawandel rechnen Experten bis zum Jahr 2016 mit einem Anstieg auf 350 Millionen Betroffene jährlich. Allein 175 Millionen davon werden Kinder sein. Der Großteil von ihnen lebt in Armut.“ – http://www.kindernothilfe.de/Rubriken/Themen/Klimawandel/Hintergrund_+Wie+der+Klimawandel+das+Leben+der+Kinder+bedroht.html

6Artikel 1 GG (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

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